In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gibt es eine Vielzahl von Finanzströmen, die Gelegenheiten zum Abrechnungsbetrug liefern. Dies geht zu Lasten aller Versicherten, aber auch der Privatversicherten in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler. Vergangene Woche erhielt ich teils erschreckende Einblicke im Rahmen einer Fachveranstaltung einer überregional vertretenen BKK.
Warum ist die gesetzliche Krankenversicherung anfällig für Abrechnungsbetrug?
Dazu muss man erst einmal wissen, dass die Krankenkassen seit 2009 gar nicht mehr selbst über ihre Einnahmen verfügen dürfen. Mit Einführung des Gesundheitsfonds haben sie an Autonomie verloren. Die Krankenkassen ziehen zwar die Beiträge (und Zusatzbeiträge) ein, müssen aber alle Gelder an den Gesundheitsfonds weiter leiten. Dieser wiederum zahlt pro Versicherten einen pauschalen Betrag pro Jahr an die Kasse zurück. Erst diese Einnahmen können für Versicherungsleistungen verwendet werden. Aber es gibt einen Weg, mehr Geld vom Gesundheitsfonds zu erhalten.
Wie kam es zu dem Abrechnungsbetrug?
Um höhere Ausgaben für ältere oder kranke Versicherte decken zu können, gibt es einen sogenannten Morbiditäts Risiko-Struktur-Ausgleich, kurz Morbi-RSA. Das heißt, für eine definierte Liste von rund 80 Krankheitsdiagnosen erhält die Kasse höhere Zuwendungen. Bei entsprechender Diagnose für Arzt und Krankenkasse ein finanzieller Anreiz. Dies hat die AOK Rheinland und die AOK Hamburg offensichtlich dazu veranlasst etwas nachzuhelfen. Über das sogenannte „Upcoding“ wurden Ärzte angehalten, eine Diagnose in der Abrechnung zu vermerken, die in der Liste des Morbi RSA auftaucht. (FAZ und Die Welt berichteten im Januar 2017). Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin soll zusammen mit der Barmer GEK gemauschelt haben. Staatsanwaltliche Ermittlungen laufen, ob es zu Anklagen kommen wird ist fraglich? Den Schaden haben in jedem Fall die Versicherten.
Hier ein paar Zahlen zur Verdeutlichung:
Die Anzahl der relevanten Diagnosen ist insgesamt um 40,8 Prozent gestiegen. Allein bei den AOK’s als Spitzenreiter um stattliche 56,4 Prozent (Quelle: Siemens BKK). Mittlwerweile ist bei jedem 10. Deutschen eine Depression diagnostiziert worden. Seit 2012 ein Anstieg bei den schweren um 59,4 Prozent, eine Abnahme bei den leichten in der gleichen Zeit um 23 Prozent. Logisch, wenn die Kasse 1.100 EUR für eine schwere Depression als Zuschlag erhält, statt 512 EUR für eine leichte.
Ein Beispiel: Die Kasse bekommt von einer 54-jährigen Angestellten mit Einkommen über der Beitragsbemessungrenze 688,10 EUR vom Arbeitgeber überwiesen. Dieser Betrag wird an den Gesundheitsfonds weitergeleitet, aber zurück fließen lediglich 143,03 EUR. Hätte die Dame wenigstens Bluthochdruck. Aber nein, so entgehen der Kasse jeden Monat 21,41 EUR.
Anderes Beispiel: Eine 75-jährige Rentnerin hat Bluthochdruck. Für die 175,25 EUR Versichertenbeitrag bekommt die Kasse im Gegenzug 204,13 EUR aus dem Gesundheitsfonds. Hier lohnt es sich für die Kasse.
Fazit:
Die gesetzliche Krankenversicherung und deren Finanzierung gehören dringend reformiert. Aber bitte nicht zu Lasten der PKV durch Einführung einer sogenannten Bürgerversicherung. Schließlich bekam die GKV 2017 immerhin 14,5 Mrd. EUR an Steuerzuschüssen (14 Mrd. EUR in 2016). Aber auch das angehende Monopol der AOK’s, vor allem in Mitteldeutschland, bedroht den Wettbewerb massiv und muss begrenzt werden. Mal sehen, was passiert.